Heidi statt Corona!

Darf ich mich vorstellen? Ich bin Heidi, eine NSU Quickly-S aus dem Jahr 1959 und wurde in Neckarsulm in den Originalfarben weiß blau als Schweizer Exportmodell gebaut. (Ihr werdet vielleicht denken: „Seit wann können Mopeds denn reden?“ Aber Ihr müsst Oldtimerfahrer mal genauer beobachten, viele haben ihrem Fahrzeug einen Namen gegeben und reden mit ihm wie mit einem Menschen. Das ist im Fall von Markus Müller und seiner Frau Petra nicht anders.) In diesem Reisebericht berichte ich Euch von unserer Jubiläumstour vom Technik Museum Sinsheim nach Zug. Bislang fand ich nie den Weg in die Schweiz, sondern wurde aufgrund der starken Nachfrage erst einmal an einen Großhändler in München geliefert. 

Aber zurück auf Anfang: Über Umwege kam ich zu Markus Müller, den ich liebevoll „Patch!“ nenne. Der hatte Großes mit mir vor und ließ mich aufwändig restaurieren. Einer seiner Gründe war, dass er mich im Gedenken an seinen Großvater Heinz Stöpke, der seinerzeit seine geliebte Quickly schweren Herzens gegen einen NSU Prinz für die Familie und die tägliche Fahrt zur Arbeit tauschen musste, widmen wollte. Von ihm hat er auch seine gute Nase und das Gespür für feinste Fruchtbrände geerbt. Hier kommt nun die Brennerei Etter ins Spiel. Nachdem er gemerkt hatte, welch tolle Produkte die Brennerei Etter herstellt und die Chemie zwischen ihm und Gabriel Galliker-Etter einfach passte, wollten wir beide zum 150-jährigen Jubiläum der Brennerei dorthin reisen.

Mein heutiger Wert übersteigt meinen ursprünglichen Wert um das Zigfache, aber ich finde das hat sich definitiv gelohnt. Während der Restaurierungsdauer von fast drei Jahren kamen dann noch etliche weitere dekorative Details hinzu. Des Weiteren bin ich „up to date“, denn ich habe ein Navigationssystem, bin auf den Meter genau zu orten und falls ein Biker-Kollege mal Starthilfe benötigen sollte, bin ich dafür gewappnet. Glaubt Ihr nicht? Ist aber so. 

Und aufgrund dessen sowie meiner tadellosen Historie (original Betriebserlaubnis) bin ich die einzige NSU Quickly, die ein großes H-Kennzeichen besitzt und alle zwei Jahre zum deutschen TÜV darf. Der Ordnung halber sei erwähnt, wir könnten auf der Autobahn fahren, wenn wir wollten, aber da ist ja sowieso meistens Stau.

Dann haben wir besagte Reise gemacht. An sich wollten wir 2020 zum Chriesisturm (traditionelles Leiterrennen durch die Altstadt) in Zug sein. Allerdings hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht - was uns jedoch trotzdem nicht davon abgehalten hat, nach Zug zu fahren, sondern eher „jetzt erst recht“ mit dem „Kampfspruch“: Heidi statt Corona!


Die letzte Testfahrt vor unserer großen Reise machten wir donnerstags auf dem Museumsgelände, wo wir Museumspräsident Hermann Layher trafen. Er gratulierte uns zur gelungenen Restaurierung und schmunzelte über mein Nummernschild. Wir haben dann ein schönes Gruppenbild gemacht und wertvolle Reisetipps von ihm erhalten. Allerdings mussten wir an diesem Abend noch an dem einen oder anderen Schräubchen drehen.

So sind wir am Freitagmorgen, den 19. Juni 2020, am Technik Museum Sinsheim aufgebrochen und haben die mehr als 500 km auf meinen eigenen Rädern zurückgelegt, um nur drei Tage später zum Chriesimärt (Kirschmarkt) da zu sein. Aber als wir am Freitagmorgen unsere Tour starteten, konnten wir nicht erahnen, was uns auf den ersten Kilometern schon so alles passieren würde.

Der erste Verkehrsrowdy sollte nicht lange auf sich warten lassen. Erst winkte er uns auf der Landstraße freundlich vorbei - dabei hatten wir ohnehin Vorfahrt - als er dann kurz vor uns doch noch rausgezogen ist. Meinem Fahrer blieb nichts anderes übrig als beherzt zuzulangen und ein tollkühnes Fahrmanöver durchzuführen, um nicht mit dem Heck dieses freundlichen Mitverkehrsteilnehmers Bekanntschaft zu machen. Und die Bremsen waren somit auch gleich mal richtig getestet. Ich weiß nicht, ob ich ihn einfach nur aus dem Konzept gebracht habe, er war jedenfalls stehengeblieben und hat dann gewendet, um in anderer Richtung davonzufahren. Bedauerlicherweise hatte sich bei dieser Aktion die Deichsel meines Anhängers verdreht, was dazu führte, dass der Anhänger auf der rechten Seite Schlagseite hatte. Wir beschlossen dann die Fahrradwege zu benutzen - soweit dies möglich war, um am schnellsten nach Baden-Baden zum ersten Servicepoint zu gelangen.

Bis kurz vor Karlsruhe sind wir dann gekommen, als wir ein kurzes Stück über die Landstraße nehmen mussten, um zum nächsten Fahrradweg zu gelangen, als uns dort ein Lkw trotz kerzengerader Strecke und keinerlei Gegenverkehr streifte und durch die Druckwelle in den Grünstreifen schickte. Durch ein Wunder sind wir dann nicht in der Leitplanke eingeschlagen. Danach brauchten wir erst einmal eine Pause. Gegen 17 Uhr erreichten wir endlich Karlsruhe und waren uns nicht mehr sicher, ob wir am ursprünglichen Tagesziel (Lörrach) überhaupt ankommen würden. Frisch getankt wollten wir wenigstens das erste Zwischenziel (Baden-Baden) erreichen. Wir wollten gerade los als das Telefon klingelte. Anhand der Nummer sahen wir, dass jemand aus der Schweiz anrief: Der Radiosender wollte wissen, ob wir gut vorankommen. Wir ließen uns die Strapazen des Tages nicht anmerken und gaben unser erstes Interview. Um Mitternacht kamen wir beide müde, geschafft und von den Umständen gezeichnet in Baden-Baden an. Ich durfte dann mit meiner besten Freundin Elsbeth (eine Zündapp C50 Super) die Garage teilen.

Nach einer kurzen Nacht versuchten wir vergeblich mit Jennifer, der Schwester meines Fahrers sowie dessen Schwager Timo, die verzogene Deichsel des Anhängers wieder hinzubiegen. Da der Schaden einfach nicht zu beheben war, entschlossen wir uns schweren Herzens nur das Nötigste mitzunehmen und ohne Anhänger weiterzufahren. Gegen 15 Uhr fuhren wir von Baden-Baden fast ohne weitere Umschweife in Richtung Zug. Vollgetankt hörte ich meinen Fahrer rufen „Heidi wir fahren heute so weit wir können“ und das taten wir auch – bis tief in die Nacht hinein. Gegen drei Uhr morgens kamen wir an unserem zweiten Service-Stützpunkt auf dem Rührberger Hof bei Fam. Düster glücklich an, denn wir hatten uns bei ein paar schnellen Runden auf einer Kartbahn den Frust von der Seele gefahren. Leider konnten wir den Streckenrekord nicht knacken, schließlich fuhren wir mit Gepäck!

Gut ausgeschlafen am Sonntagmorgen klingelte kurz vor Abfahrt das Handy. Nein es war nicht der Radiosender, es waren seine Schwestern Sabrina und Jennifer, die ihm mitteilten, dass sie kurzerhand den Anhänger sowie die anderen zurückgelassenen Sachen eingepackt haben, um uns quasi als Servicemobil nach Zug zu begleiten. Aufgrund dessen, dass wir nur noch mit Sprit beladen bei schönstem Wetter gestartet waren, mit dem Wissen es sind nur noch 150 km bis Zug und ich endlich mal die Schweiz sehen konnte, legte ich voller Freude die Tachonadel an und die Ortschaften flogen nur so an uns vorbei. Ich muss nicht erwähnen, dass Schweizer Berge steil sind, aber dennoch überholten wir den ein oder anderen Traktor und E-Bike-Fahrer mühelos und bergab waren wir das reinste Geschoss. Liegt womöglich auch daran, dass wir den gleichen Airbrusher haben wie Valentino Rossi. Angehalten haben wir dann nur noch zum Durst löschen und auch wenn der ein oder andere Anstieg etwas steiler war, ließ dies der Freude keinen Abbruch. Auf den letzten Kilometern nahmen wir Tempo raus, denn bei meinem Fahrer kullerten schon die Freudentränen über die baldige Ankunft. Er hatte es sich doch so gewünscht - nein wir hatten uns das so gewünscht.

Als wir dann in die Straße zur Brennerei einbogen, sahen wir von weitem Gabriel Galliker-Etter auf der Straße einen Freudentanz aufführen und das mit einer Flasche Williams Fruchtbrand winkend. Er war so aufgeregt, denn er hatte mich noch nie gesehen. Ich verstand auf Anhieb, warum Patch! ihn so bewundert. Natürlich haben sie erst einmal ein Gläschen auf unsere Ankunft getrunken.

Danach bekam ich erst einmal eine Wellnessbehandlung. Das hatte ich mir auch verdient. Und im Spa-Bereich (Waschplatz) waren wir in bester Gesellschaft: Ein Rolls-Royce Phantom I aus königlichem Hause bekam gerade den Tank gefüllt. Blitzeblank und strahlend durfte ich die Nacht im Showroom der Brennerei verbringen und träumte von all den Fruchtbränden und Likören um mich herum.

Die Reaktion der Schweizer war beeindruckend. Am Montag, den 22. Juni 2020 löste ich im Kanton Zug einen regelrechten Heidi-Boom aus. Von morgens bis abends hörte man stündlich in Radio sunshine und Radio Central was wir in Zug so anstellten. Wir waren zu Gast im neuen Rathaus und beim Zuger Tourismusbüro. Unterwegs trafen wir viele Promis, Geschäftsleute und Künstler - also lauter liebe Leute, die ein Foto mit uns machten. Das hat mir gut gefallen - dieses Blitzlichtgewitter auf meinem Chrom. Charmant fand ich auch: Die Frage nach meinem Alter stellte niemand.

Dann gaben wir ein Interview für die „Zuger Woche“ (Tageszeitung). Um 15 Uhr durfte ich offiziell den Chriesimärt eröffnen. Anschließend zogen wir (Charly, der Fotograf, Markus ud ich) für ein Fotoshooting durch die Altstadt. Auch ein Besuch auf dem Berglihof in Menzingen stand auf dem Plan. Und die Einladung in dem Lieblingsrestaurant von Patch!, auf dem Blasenberg war ein weiteres Highlight an diesem Tag.

Am Dienstag ging es am Morgen schon wieder hochkarätig los. Vor dem Regierungsgebäude bekamen wir hohen Besuch aus der Politik. Fast der komplette Landrat stand begeistert um mich herum und alle sagten lauter schmeichelnde Sachen.
Zur Mittagszeit machten wir eine ausgiebige Schifffahrt auf dem Zugersee. Unser Schiff war die Rigi. An und für sich dürfen keine motorbetriebenen Fahrzeuge mit an Bord genommen werden. Aber Philipp Hofmann, der Geschäftsführer der Zugersee Schifffahrt AG, teilte uns freudig gleich zur Begrüßung mit, dass sie in meinem Fall eine Ausnahme machen und ich bekam sogar einen eigenen Parkplatz an Bord. Überdies war für Security gesorgt worden. Und trotzdem schaute Patch! immer wieder nach dem Rechten. Ausgehungert freute der sich schon auf Schweizer Spezialitäten und eine kleine Pause, aber es kam mal wieder anders. Ich sage nur: Eine klasse Schifffahrt war das!

Danach schob mich Patch! den Zugersee entlang zur Brennerei. Wir waren bestimmt eine halbe Stunde unterwegs. Man sagt doch „wer´s Heidi liebt, der schiebt“. Sprit hatte ich genug, damit war ich aber auch nicht allein, denn Patch! bekam zum Nachtisch einen echten Schweizer Eiskaffee (mit reichlich Kirschwasser). Zudem ist eine seiner Prinzipien „don´t drink and drive“, dazu sind wir zu reif, also viel zu clever. Nur weil wir Fruchtbrände und Liköre dabei haben, fahren wir dennoch immer nüchtern.

In der Brennerei schließlich angekommen, wurde ich wieder mit dem Lift in den Showroom gebracht, der dann in Windeseile von der halben Belegschaft unter dem Kommando von Eveline und Gabriel umgestaltet wurde, nur aus dem Grund, dass ich ein schönes Plätzchen bekomme. Was jetzt noch fehlte, waren die Autogramme der drei Söhne aus dem Hause Etter - wie ein echtes Tattoo auf meiner Gepäckträgerbox. Insgeheim hoffe ich nun auch als Moped oder wie die Schweizer sagen würden: Als Töffli eine Chance auf den Titel „Zugerin des Jahres“ zu bekommen. 

Nun darf ich mich vorübergehend (bis Juni 2021) im Showroom der Brennerei Etter ausruhen und mich von meiner besten Seite zeigen. Zum Chriesisturm 2021 trete ich dann die Heimreise wieder an. Wobei meine Jubiläumstour weiter geht, denn ich werde dann zum Jubiläum der Technik Museen Sinsheim Speyer (40 bzw. 30 Jahre) ausgestellt, vorausgesetzt ich bin nicht gerade bei Veranstaltungen der Museen unterwegs und darf Fruchtbrände und Liköre ausfahren. Und mal sehen was Patch! nun wieder im Kopf rumschwirrt, vielleicht fahren wir dann Traktor nach dem Motto „Heidi - ich hol dich mit dem Traktor ab“. Am Dienstagabend verabschiedete sich Patch! liebevoll von mir und machte sich auf den Heimweg per ICE.

Ein riesengroßes Danke geht an dieser Stelle an alle, die mir auf dem Weg hierher geholfen haben (Firmen, Fachleute, Kollegen und Freunde, Familie, Meister ihres Fachs). Auch wenn ich sie namentlich nicht alle erwähnen kann, wissen sie, dass ich ohne ihr Zutun nie so einzigartig geworden wäre. Denn man sollte nicht dem Irrglauben verfallen, dass die Restauration einer Quickly ein Spaziergang ist. Ein oft gehörter Satz in diesen zweieinhalb Jahren war: „Wir haben kein Interesse daran, an einer Quickly zu arbeiten -  das kann man ja auch selber machen“. Als dann kurz vor meinem Zusammenbau ein Trauerfall das Projekt zum Erliegen brachte, war Manfred Fink mein Retter in der Not. Das vergesse ich ihm nie!

Pssst…ich verrate Euch noch ein kleines Geheimnis: Wenn Ihr noch mehr über mich erfahren wollt, müsst Ihr Euch noch etwas gedulden, Petra und Patch! nutzen die „Heidi-freie“ Zeit, um ein Büchlein über mich zu schreiben.

Bis bald im Museum,
Eure Heidi

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