Der geölte Blitz – Mythos Blitzen-Benz

Daytona 1911 – ein niedriges kurzes schmales Stromlinienauto stand am Strand bereit zur Rekordfahrt. Zwei Mechaniker kurbelten den riesigen Wagen an. Der Motor hatte 21,4 Liter Hubraum und leistete 200 PS bei 1650 U/min. Der Fahrer, Wild Bob Burman, rückte noch einmal seine Staubbrille zurecht, um dann, wie er es liebevoll nannte, den Sand etwas anzuwärmen. Dann schrieb der Wagen Automobilgeschichte: Der Blitzen-Benz leistete 228,1 km/h Höchstgeschwindigkeit. Der Weltrekord hielt bis 1921. Flugzeuge waren nur halb so schnell. Das einzige menschlich erfundene Stück Metall, das schneller sein konnte, war eine Revolverkugel.

Dieser Mythos, der in Daytona entstanden ist, wirkt noch bis heute nach. Wenn man das Auto heute sieht – ohne vordere Bremsen mit Wulstreifen und offenem Kettenantrieb, so müsste einen doch das kalte Grauen packen. Dass der Blitzen-Benz wieder lebt, ist dem Enthusiasmus von Bill Evans zu verdanken, der in mühevoller Kleinarbeit, diesen in Amerika so berühmten Wagen, aufbaute. Bill Evans ist Museumsmitglied. Der Benz stand in den letzten zehn Jahren oft im Museum, wenn einige Einsätze in Europa waren.

Um den Wagen heute nützen zu können, erweist sich die Stromlinienkarosserie als nicht gerade vorteilhaft. Sie war konstruiert worden, um den Benz anzuwerfen, warmlaufen zu lassen und dann ging es ohne Hindernisse auf die Rekordstrecke. Es gab aber auch eine Variante des Benz für Bergrennen. Dort hatte er eine konventionelle Karosserie mit großer Kühlerfläche und wurde damals per Achse zu den Rennen gefahren. Um eine Höchstgeschwindigkeit zu fahren brauchte man vorne ein Kettenritzel mit 34 Zähnen. Man stelle sich dies vor, wie bei einem modernen Rennrad, je kleiner das Ritzel vorne, desto mehr Kraft von unten, aber auch weniger Höchstgeschwindigkeit kann man erreichen. Für das Bergrennen in Gallion wurden z. B. 24 Zähne montiert. Bei diesem sehr beachteten und ziemlich steilen Bergrennen schoss der Benz mit 160 km/h durch das Ziel. Die Männer von Benz Mannheim haben damals innerhalb von mehreren Tagen den Wagen für den jeweiligen Einsatzzweck umbauen können. Heute steht die Stromlinienkarosserie des Blitzen-Benz im Technik Museum Sinsheim bei der Blue Flame und gibt dem Besucher einen Eindruck von vergangenen Zeiten. 

(Dieses Foto von 1911 zeigt Franz Heim aus Mannheim und seinen Beifahrer vor dem Start zum Ries-Bergrennen in Österreich. Man sieht das große Kettenblatt für den Straßentransport. Die Leute fuhren per Achse dort hin. Für das Rennen wurde dann ein kleineres Ritzel montiert. Der Wagen hat mit Streckenrekord gewonnen.)

 (So sah der Wagen vor seiner Restaurierung aus. Die Weltrekordkarosserie ist nun im Technik Museum Sinsheim ausgestellt.) 

Der Wagen wurde noch einmal komplett zerlegt und von Grund auf auf höchste Leistung wieder aufgebaut. Die Schwierigkeiten bei diesen Arbeiten lagen auch darin, sich in die Denkweise der Menschen von 1909 zurückzuversetzen. Es ist erstaunlich, welche Lösungen die Konstrukteure damals erreicht haben, als sie aus dem 1908 Grand Prix Benz den Blitzen-Benz entwickelten. Leichtbau stand an erster Stelle. So sollte der Wagen ohne Wasser, Öl, Sprit und Reifen unter 1200 Kilo wiegen. Die Auslassventile sind 10,3 cm groß. Der Wagen hat 185 Bohrung und 200 mm Hub. Dies ist eine fast quadratische Auslegung, so dass der Motor die Drehzahlen besser ertragen kann. Hilfe kam bei der Restaurierung aus Deutschland, aber auch aus England und Amerika. Voller Stolz haben wir den Wagen Anfang April 2019 in England in Goodwood beim Members Meeting präsentiert. Dies ist ein Rundstreckenrennen. Unser Mitglied Ben Collings, der mit der Strecke bestens vertraut ist, hat den Wagen dort gefahren. Der Benz war der Star von dieser Veranstaltung. Er war außerdem auf dem Zielstrich das schnellste Fahrzeug von vor dem Ersten Weltkrieg. Ben Collings bewies Nervenstärke, als er beim Start die originale Lederkonus-Kupplung schonend behandelte. Dadurch verloren wir 150 m auf die Spitze, die jedoch bald aufgeholt werden konnten. Ein toller dritter Platz krönte den Auftritt und fand in Sammlerkreisen weltweit Beachtung.

Nun sind wir immer noch dabei, den Wagen sauber einzufahren. Auf dem BRAZZELTAG wird er dann zum ersten Mal in der Heimat präsent sein. Bei der Restauration des Wagens in jüngerer Zeit waren über 100 Personen beteiligt. Einige davon werden am BRAZZELTAG mit dabei sein. Am BRAZZELTAG wird der Wagen mit all seiner Kraft vorgeführt werden, jedoch ist der BRAZZELTAG eine Schauveranstaltung  und kein Rennen. Auf Zeit im Rennen eingesetzt werden, wird der Wagen beim Festival of Speed im Juli 2019 in Goodwood. Nachdem wir den Weltrekord Fiat schon auf dem BRAZZELTAG präsentieren konnten, freuen wir uns nun, den Benz aus dem nahegelegenen Mannheim als Star der Veranstaltung BRAZZELTAG zeigen zu können.    

Der Wagen macht auch ziemlich einsam. Es gibt nicht viele Leute, die sich so ohne weiteres als Passagier in das Auto setzen. Außerdem hat er keinen Elektrostarter, er muss von Hand angeworfen werden – Vorsicht, wenn es schief geht – es droht Knochenbruch!

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