Königinnen des Überschalls

Sie begründeten eines der spannendsten Kapitel in der zivilen Luftfahrt: Im Jahr 1969, also vor 55 Jahren, haben sowohl die Concorde als auch die Tupolev Tu-144 erstmals die Schallmauer durchbrochen. Die eleganten, superschnellen Passagierflugzeuge flogen in ihrer aktiven Zeit mit „Mach 2“, also doppelter Schallgeschwindigkeit, durch die Luft. Etwa zweieinhalb Jahrzehnte galt ein Flug mit der Concorde als ein exklusives, aufregendes Privileg der Reichen und Schönen. Für die Ingenieure erfüllte sich mit dem Überschall-Passagierjet ein technischer Traum …

Bereits in den 1950er-Jahren hatte die Vision eines Überschallflugzeugs in der zivilen Luftfahrt Gestalt angenommen. Spektakuläre Erfolge in der Luft- und Raumfahrt stießen damals auf eine begeisterte Stimmung in der Bevölkerung: In der Raumfahrt rückte in den 1960er-Jahren der Mond als Ziel des Apollo-Programms in immer nähere Reichweite, in der Luftfahrt wurden immer höhere Fluggeschwindigkeiten erwartet. Überschallflugzeuge waren bereits aus der militärischen Luftfahrt bekannt – nun erschien das Reisen mit Überschall-Passagierflugzeugen als ein folgerichtiger Fortschritt.

Projekte in West und Ost
In Frankreich und in Großbritannien machte man sich an entsprechende Projekte. Schnell wurde klar, dass die Entwicklung eines solchen Flugzeugs extrem kostspielig sein würde, und so kam es 1962 zu dem Abkommen, dass beide Länder gemeinsam die Konstruktion eines Überschallflugzeugs – der Concorde – in Angriff nehmen sollten. Die Amerikaner hatten den Überschallflug für zivile Jets zunächst ebenfalls im Visier: Sie planten mit der Boeing 2707 ein SST-Passagierflugzeug, das noch größer und schneller als die Concorde sein sollte. Das Projekt wurde jedoch 1971 eingestellt. Im Kontext des Technologie-Wettbewerbs zur Zeit des Kalten Krieges wollte natürlich auch die Sowjetunion beim Schreiben eines neuen Kapitels der Luftfahrtgeschichte ganz vorne mit dabei sein. Im Juli 1963 begann deshalb das Konstruktionsbüro Tupolev im Auftrag des Kreml mit der Entwicklung eines Passagierflugzeugs, das schneller als der Schall fliegen sollte – die Tupolev Tu-144. Der Wettlauf zwischen Ost und West hatte begonnen.

Große technische Herausforderungen
Die technischen Herausforderungen waren enorm: Um den physikalischen Anforderungen des Überschalls gerecht zu werden, konstruierten die Concorde- wie auch die TU-144-Ingenieure deltaförmigen Flügel. Das so konfigurierte Flugzeug hatte einen enormen Schubbedarf und erforderte zudem bei Start und Landung einen hohen Anstellwinkel. Damit der Pilot bei diesen Manövern freie Sicht hatte, wurde die Nase absenkbar gemacht. Dass die beiden Flugzeuge sich sehr ähnelten, veranlasste so manchen zu Spekulationen über die Ostblock-Geheimdienste, zu wesentlichen Teilen war dies jedoch einfach den Gesetzen der Physik geschuldet. Unterschiede gab es trotzdem einige: Die Tu-144 hatte z. B. ihre Triebwerke dichter am Rumpf und verfügte über eine einfachere Tragflächengeometrie, zusätzlich erhielten ihre späteren Serienmaschinen ausfahrbare Canard-Flügel für den Langsamflug.

Spektakuläre Jungfernflüge
Am 31. Dezember 1968 hob die Tu-144 zum Erstflug als erstes Überschallverkehrsflugzeug der Welt ab, dicht gefolgt von der Concorde, deren französischer Prototyp am 2. März 1969 seine Flugpremiere hatte. Schneller als der Schall flog der sowjetische Jet erstmals am 5.6.1969, auch hier dicht verfolgt von der Concorde, der das am 1.10.1969 gelang. Ein schwerer Rückschlag für die Tu-144 war der 3. Juni 1973, als das Flugzeug während einer Vorführung auf dem Pariser Aero-Salon in Le Bourget in der Luft auseinanderbrach. Überhaupt: Bis die schlanken Überschall-Königinnen real als Passagierjets eingesetzt wurden, dauerte es noch ein paar Jahre.

Der Flug mit Passagieren
Die Tu-144 nahm im Dezember 1975 den Post- und Frachtflug und im November 1977 den Transport von Passagieren auf. Da der Betrieb sich als schwierig und unwirtschaftlich erwies, wurde der Liniendienst im Jahr 1978 eingestellt.
Am 21. Januar 1976 begannen die Concordes, Passagiere zu transportieren. Die Flüge waren ein traumhafter, aber teurer Spaß: Exklusive Kulinarik und Champagner an Bord, das erhebende Gefühl, in zweifacher Schallgeschwindigkeit zu reisen und andere Annehmlichkeiten machten die Concorde-Kabine zum „Treffpunkt“ der VIPs aus aller Welt. Ein wirtschaftlicher Erfolg war sie aufgrund hoher Entwicklungs- und Betriebskosten nicht, doch ihre Exklusivität und ihre technische Exzellenz machten die Concorde zu einer Legende in der Geschichte der Luftfahrt. Nach einem schweren Unfall am 25. Juli 2000 in Paris wurden die Concorde-Maschinen für eine Weile zur Überarbeitung aus dem Verkehr gezogen, danach sank die Nachfrage nach den Überschallflügen. Am 24. Oktober 2003 hob die Concorde in New York zu ihrem letzten Linienflug ab.

Zu sehen im Museum
Man sieht sie schon von der Autobahn aus: Das Technik Museum Sinsheim ist in der glücklichen Lage, seinen Besuchern sowohl eine Concorde F-BVFB als auch eine Tupolev Tu-144 zeigen zu können – ein einzigartiges Exponate-Paar! Beide Flugzeuge sind komplett begehbar – die Museumsbesucher haben Zugang in den Passagierraum und können auch einen Blick ins Cockpit werfen. Ein weiteres Highlight sind die original Rolls-Royce-Triebwerke der Concorde, die unterhalb der Concorde in der Museumshalle zusammen mit zahlreichen Accessoires und technischem Equipment im Museum ausgestellt sind.

Verfasserin: Museumsmitglied Heidi Debschütz

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