Zuerst das Ross dann der Reiter - mit einem Mercedes Simplex von 1903 unterwegs in Bayern

Hans Kleissl, der Mercedes 300 SL restauriert und handelt, hat zu seiner Hausrallye eingeladen. Es war schön, dass die Rallye in der derzeitigen Krise stattfinden konnte. Dies war mit ein Grund für mich, die Teilnahme zu überlegen.

Kurzer Anruf bei Philipp Dressel, Mitglied in unserem Museumsverein. Meine Anfrage war, ob er nicht mitgehen wolle zum 300 SL Treffen bei Hans Kleissl mit meinem Mercedes K von 1929, um ein bisschen Alarm in den Alpen zu machen. Philipp erwiderte, er möchte nur mit, mit dem 60 PS Simplex 1903 mit Rennkarosserie unseres Freundes und Museumsmitglieds Ben Collings. Also flux in England angerufen, um Ben um sein Auto zu bitten. Was als Jux begann, wurde plötzlich Ernst, denn Ben sagte begeistert zu. Er fragte auch, welches Kettenblatt wir gerne hätten und ich bestellte das Auto mit zwei Zähne kürzere Übersetzung, da wir ja ins Gebirge fuhren, und mit Beleuchtung, falls wir in die Nacht kommen.

Das Auto wurde dann von England nach Sinsheim transportiert. Am Anreisetag fiel das meiste der Fahrt ins Wasser, es regnete fürchterlich. Thomas Kern, ein weiteres Museumsmitglied, hatte sich auch mit einem SSKL angemeldet, so mieteten wir einen Autotransporter, um die Fahrzeuge nach Landsberg/Lech zu bringen, um nicht so viel Autobahnkilometer im Regen machen zu müssen.

Als wir dann den Simplex bei strömendem Regen abgeladen haben, kamen mir leichte Zweifel, ob die ganze Aktion sinnvoll war. Also Auto angedreht, denn es hat keinen elektrischen Anlasser, auch keine Batterie, auch praktisch keine Karosserie und keine Kotflügel, also nur, was man so zum fahren braucht. Wir fuhren dann im strömenden Regen los, ins schöne Landsberg, durch die Altstadt und als wir die ersten Landstraßenkilometer unter die Räder nahmen, war es so schön, dass man hätte singen mögen. Die Aktion hatte sich da schon schwer rentiert. Wir fuhren dann auf wunderschöner Straße und bei schwerem Wetter nach Polling in Bayern, vorbei an der dicksten Linde Bayerns. Zum Mittagsessen machten wir einen Stop in der Dachs-Brauerei Weilheim, denn merke „eine Frage des Geschmacks, alle trinken Dachs“. Es war unglaublich, wieviel Knödel Timon, der Sohn von Thomas Kern, verputzen konnte. Der junge Mann ist noch im Wachstum und hatte richtig Hunger.

Angekommen bei Hans Kleissl war die Freude bei den Teilnehmern gemischt. Die Wagen waren hauptsächlich 50er Jahre Autos mit einer großen 300 SL Dominanz - ganz nach dem Motto „wir müssen auf die Leute mit dem alten Auto jeden Tag beim Essen mindestens eine Stunde warten“. Was die 300 SL Gemeinde jedoch nicht wusste, ist, dass der 60 PS Simplex Rennwagen von 1903 der beste Sportwagen war, der die Fabrikhallen von Mercedes jemals verlassen hat.

Wir fuhren dann in strömendem Regen los und es regnete den ganzen Tag. Es war sehr schön, Philipp zuzuschauen, wie er nass wurde. Wahrscheinlich hatte mein Beifahrer die gleiche Freude bei mir. Man muss sich vorstellen, dass die Räder etwa eine vier Meter hohe Wasserfontäne produziert haben und bei jeder Kurve gab es ein Kürvlein für Dich mit einer Dusche und ein Kürvlein für mich mit einer Dusche – es war schon etwas skurril.

Wir hatten jedoch von unserer Freundin Irene Schwarz Mäntel machen lassen für solche Gelegenheiten, d.h. es gibt einen dünnen Cabrio-Verdeck-Oberstoff. Aus diesem haben wir Cabrio-Hauben machen lassen und dann zwei Mäntel. Bei dem Mantel handelt es sich um eine Kopie des Fahrermantels von Prinz Heinrich, dem Bruder des Deutschen Kaisers Wilhelm. Prinz Heinrich war ein früher Automobilist, ein Enthusiast, der Rennen und große Fahrten gemacht hat. Er hat unter anderem den Scheibenwischer und auch den berühmten Fahrermantel erfunden. Wir waren also nur an den Füssen ein bisschen nass und selbstverständlich an den Händen, weil ich meine Neopren-Handschuhe aus dem Wassersport verlegt habe. Lederhandschuhe weichen sich dann ziemlich durch. Aber es war ja nicht kalt, also hatten wir es sehr gemütlich.

Ben Collings, der Besitzer des Wagens, hat mich noch darauf hingewiesen, dass seine derzeitig montierten Reifen schlecht bremsen im Regen. Dies hat mir ein bisschen Sorge gemacht, da der Wagen ja Holzräder hat und vorne keine Bremsen. Als Maßnahme habe ich ein Hufeisen als Glücksbringer ins Cockpit geschraubt, deshalb konnte überhaupt nichts passieren.

Bei dem schweren Wetter war es natürlich schwierig das Roadbook zu lesen. Dies ist gleich im Regen aufgequollen und der Fahrtwind hat mehrmals Seiten aus dem Buch gerissen, so fuhren wir oft in grober Richtung nach dem Stand der Sonne. Die vielen historischen Autos auf der Rallye waren jedoch auch gute Wegweiser. Wir haben dann immer schön den Weg gefunden, auch mit zerstörtem Roadbook. Wir fuhren über verschlungen Wege von Polling ins Allgäu und hatten ein schönes Hotel im Lechtal am See.

Am nächsten Tag ging es ins Inntal über das Hahntenn-Joch. Es war eine tolle Idee vom Veranstalter, den Fotografen an der Strecke als Polizist zu verkleiden, der mit der Kamera am Wegesrand stand. Wir schossen mit voller Kraft durch einen Tunnel. Der Fotograf stand dahinter und hat uns gewunken. Später erfuhren wir, dass das keine Inszenierung war, sondern eine Geschwindigkeitskontrolle. Gott sei Dank hat der Wagen eine englische Zulassung.

Im Inntal war es sehr schön. Oberhalb von Telfs gibt es ein wunderschönes Hotel, das die Familie Liebherr gebaut hat. Dort waren wir zum Mittagessen. Der Gag am Hotel war aber, wenn man an die Tiefgarage rollt, hat es ausgesehen wie in der Hotelrezeption: holzvertäfelte Wände, Leuchter, Teppiche. Selbstverständlich haben wir die Einfahrt vom Auto aus gefilmt und dem Eigentümer des Wagens nach England geschickt. Nachdem dieser den Film geschickt geschnitten hat, glauben jetzt alle befreundeten Engländer, wir wären mit dem Simplex ins Foyer gedonnert.

Die Rückfahrt war über den Fernpass geplant. Dies war uns jedoch zu langweilig. Deshalb überfuhren wir noch einmal das Hahntenn-Joch in anderer Richtung. Dies war spektakulär, weil wir wenig Verkehr hatten. Es war wie BRAZZELTAG im Gebirge. Interessanterweise waren wir abends das zweite Auto, das unser Rallye–Hotel erreichte, sehr zum erstaunen der 300 SL Gemeinde.

Am Abend wurden wir gelobt für die gute Show; aber wir hatten eine völlig andere Ansicht der Sache. Beim Simplex reduziert sich das ganze Leben aufs pure Fahren. Bergsteiger und Jogger beschreiben dies als einen Flow. Wir waren zum Fahren dort. Als 300 SL Enthusiasten war es eine Freude, die schönen Autos in freier Wildbahn zu erleben. Wir konnten auf Strecke mit den Fahrzeugen gut mithalten, wurde doch der 60 PS schon 1904 mit über 90 Meilen pro Stunde gestoppt.

Am dritten Tag fuhren wir dann zurück nach Polling. Wenn man mit diesem Auto fährt, ist die Routine immer gleich. Anhalten, Schmierdienst machen, alles einölen, abschmieren, ganz nach dem Motto „zuerst das Ross dann der Reiter“. Alles fühlte sich gut an und so beschlossen wir, von Hans Kleissl in Bayern bei schönstem Wetter auf Achse nach Hause zu fahren.

Am ersten Tag schafften wir es bis nach Weißenhorn bei Ulm. Es war traumhaft schön. Die Störche saßen auf dem Stadtschloss, wo auch das Rathaus untergebracht ist. Als ich am nächsten Morgen im Hotel aufwachte, habe ich mir überlegt, war das ein Traum, oder war das die Realität. Also Vorhang auf, Richtung Rathaus geschaut und da saßen sie. Vier im Storchennest und zwei auf dem Dach. Es war beeindruckend.

Danach ging es zu einem Kurzbesuch zu unserem Museumsmitglied Robert Bayer, der jahrzehntelang Präsident vom 300 SL Club war. Wir durften seine Werkstatt benutzen, denn zum schmieren der Achsschenkel muss der Wagen angehoben werden, damit die Räder frei sind. Die ollen Stauffer-Fettbüchsen bringen sonst zu wenig Druck. Wir durften die Fahrzeugsammlung besichtigen und es gab einen schönen kräftigen Kaffee. Dann nix wie über die Schwäbische Alb. Auf der Alb sind die Straßen relativ schnell und so gab es ein wunderschönes Vorankommen.

Bei Sindelfingen hat sich dann mein Kreuz recht scharf gemeldet. Deshalb machten wir einen Stopp bei unserem Museumsmitglied und Musikreferent Horst Thome, auch um wieder den Schmierdienst auszuführen. Angenehm war es, dann den Rücken auf den warmen Kühler zu drücken. Dies ist wie Fango. Und dann gab es noch ein kurzes Sprudelbad im Whirlpool in Horsts Garten. Dies hat mich wieder fit gemacht für die restliche Heimfahrt.

Wir kamen dann recht entspannt wieder im Technik Museum Sinsheim an. Dreckig, ausgelaugt und verschwitzt, aber sehr glücklich. Es ist nämlich nicht so einfach, auf so einem Auto mehrere Tage zu existieren, ohne Komfort, den Elementen ausgesetzt. An diesem Wochenende kamen insgesamt 1400 Kilometer zusammen.

Wer weiß, ob man irgendwann noch so frei mit dem alten Auto durch die Gegend fahren kann. Es war ein wunderbares Erlebnis mit dem Auto auf Strecke zu sein.

Dank an Hans Kleissl für die Einladung, meinem unerschrockenen Beifahrer Philipp Dressel für die Gesellschaft und vor allem an Ben Collings für das Auto. Das Erlebnis wird uns unvergesslich bleiben.

Hermann Layher
Dipl.-Ing. (FH)
Präsident der Technik Museen Sinsheim Speyer

(Fotos: Philipp Dressel HK Engineering)

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