Teil 3: Wie eine Schweinejagt um ein Haar die Reise beendet hätte ...
Kommen wir nun zur Reise an sich: Natürlich lassen sich Länder/Regionen nicht vergleichen. Aber: Wo hat es Euch am besten gefallen?
Bea: Das ist die meistgestellte Frage, die aber auch am schwierigsten zu beantworten ist. Wir differenzieren es dann immer: Natürlich waren die Menschen überall sehr nett. Aber in Indonesien hat es uns am besten gefallen. Sie sind dort super aufgeschlossen und lustig.
Helle: Ukraine, Russland, Kasachstan waren auch ganz toll und an Gastfreundschaft kaum zu übertreffen. So übernachteten wir bei einer Familie in der Nähe von Wladiwostok. Als wir weiterfuhren, hatten sie Tränen in den Augen. Wir bekamen Seife, Medikamente und eine riesige Melone mit auf den Weg. Wir hätten unterwegs ja verhungern können. Sie passte auch super auf das Motorrad (lacht)! Die Mongolei hat uns sehr fasziniert. Wir passierten den Schlagbaum an der Grenze und waren in einer anderen Welt. Gefühlt war es Wildnis. Egal wo man steht, es gibt keine Straßen. Da ist nur Weite, Natur und Landschaft. Es war für uns sehr beeindruckend.
B: Generell war der Osten extrem freundlich. Da gibt es viele Biker-Communities. Die Mitglieder luden uns ein. Wir konnten bei Ihnen übernachten. Und obwohl wir uns nur mit Händen und Füßen verständigen konnten, weil kaum einer englisch sprach, hat es trotzdem funktioniert.
Welche Gegend hat Euch weniger gefallen?
B: Je touristischer es wurde, desto weniger freundlich und offen waren die Einheimischen, vor allem in Südostasien (Laos, Kambodscha und Thailand). Sie sahen in uns nur die westlichen Touristen, an denen sie etwas verdienen können. Im Landesinneren, in den Bergen, war es dann komplett anders. Gleiches auf Kuba: Wir schipperten von Kolumbien nach Kuba auf einem über 100 Jahre alten Segelschiff. Einen Monat später wurden wir wieder aufgeladen und weiter nach Mexiko gebracht. Da wir auf Kuba mit eigenen Fahrzeugen unterwegs waren, was ja sehr selten ist, kamen wir auch in entlegene Gegenden, wo es fantastisch war. Die Leute waren unglaublich freundlich. In den touristischen Hot Spots versuchte man hingegen ständig, uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Grundsätzlich war es in diesen Ländern verstärkt zu sehen, wie Massentourismus alles verändern kann.
H: Für uns hat es die Diversität ausgemacht: Erst hat man karibisches Meer, dann tausende Meter hohe Bergpässe, dann wieder Wüstenregionen. Von daher hat es uns überall gut gefallen. In touristisch überlaufen Regionen, war es dann weniger schön.
Welcher Ort hat Euch überrascht – positiv oder negativ?
B: Die Mongolei hat uns positiv überrascht! Bevor wir uns mit der Route beschäftigten, war die Mongolei für mich, irgendein Land, welches irgendwo „da hinten“ liegt.
H: Für mich war es eine weniger positive Überraschung, als wir von Wladiwostok nach Bangkok kamen. Menschlich hatten wir es so nicht erwartet. Russland war extrem gastfreundlich und dann waren wir in Thailand, im Zentrum des Tourismus. Man fragt nach dem Weg und jeder will Geld von einem. Das war dann doch sehr enttäuschend. Von Indonesien hatte ich gar keine Vorstellung und es war fantastisch.
B: Anfangs dachten wir, dass auch die westlichen Länder weniger aufgeschlossen wären. Aber dann waren wir in Australien. Die Leute dort sind extrem offen. Während ich einkaufen war (im Landesinneren oder in Touri-Hotspots), wartete Helle draußen. Am Schluss stand er da und unterhielt sich mit fünf Einheimischen und hatte bereits drei Einladungen. Sobald das Eis gebrochen war, wollten sie alles über die Reise wissen. Wenn wir dann jeder Einladung gefolgt wären, hätten wir von Australien nur die Hälfte gesehen.
Wie habt Ihr Euch mit den Einheimischen, gerade auf dem Land, verständig?
H: Englisch und etwas Russisch. Sonst kamen wir mit einem Zeichenwörterbuch sowie Händen und Füssen vorwärts. In Südamerika sind wir mit ein paar Brocken Spanisch angekommen. Nach 16 Monaten konnten wir uns halbwegs brauchbar auf Spanisch verständigen.
B: Wenn die Menschen einen verstehen wollen, dann funktioniert es irgendwie. Man merkt es auch, ob jemand will, dass man sich versteht.
Gab es auch gefährliche Situationen? Oder habt Ihr sogar ans Abbrechen gedacht?
B: Abbrechen wollten wir nie. Gefährliche Situationen gab es zum Glück auch keine. Wir wurden weder überfallen noch bedroht. Ein „gefährliches“ Erlebnis machten wir in Down Under: Auf dem Weg zur Farm, wo wir arbeiten wollten, mitten im Outback. Diese war relativ schwer zu finden und der Farmer war auch nicht zu erreichen. Auf der Suche nach der Farm mussten wir mitten im Nirgendwo campen. Beim Kochen sahen wir schon von weitem ein näherkommendes Autolicht. Und normalerweise machten wir alles aus, wenn wir wild campten. Doch aus irgendeinem Grund hatten wir unsere Stirnlampen angelassen. Damit waren wir sichtbar. Was auch tatsächlich unser Glück war. Es waren nämlich Farmmitarbeiter, die zur Abendbeschäftigung mit ein paar Bier auf Schweinejagd waren. So düsten sie mit einem Suchscheinwerfer und einer Knarre im Anschlag auf ihrem Pick-up über die Farm und schossen auf alles, was sich bewegte. Im letzten Moment entdeckten sie unsere Stirnlampen. Die rechnen ja nicht damit, dass jemand mitten im Nirgendwo campt. Da reist Du durch die ganze Welt und wirst bei einer Schweinejagd erschossen – wäre ein trauriger Abgang (lacht).
Wie sah so ein Tag on tour aus?
H: Unsere Morgenroutine war recht einfach: Kaffee, Zelt abbauen, dann ging es für ca. 300 Kilometer auf die Räder. Abends schauten wir uns die Gegend an, fotografierten, filmten. Danach suchten wir uns einen Übernachtungs-Platz. Zwischendurch einkaufen, tanken, Geld abheben.
B: Wir hatten ja viel wild gecampt. Zum einen, weil es tolle Orte waren, zum anderen, aus Kostengründen. Es kam vor, dass wir ein zwei Plätze anfuhren und hatten sofort einen gefunden. Manchmal hatten wir auch zwei drei Stunden gebraucht. Gab es einen Fluss oder Bach in der Nähe, dann badeten wir darin. Manchmal auch ein paar Tage gar nicht. Wir haben auch selbst gekocht, waren kaum auswärts essen. Und wenn, dann dort, wo auch die Locals aßen. In Südostasien haben wir vielleicht nur zwei Mal in sieben Monaten gecampt. Da waren überall nur entweder Reisfelder oder Dschungel und die Unterkünfte waren sehr billig. Das haben wir sehr genossen. Immer eine Dusche und ein Bett.
H: Dies war eigentlich die Freiheit, die wir erfahren haben auf dieser Reise. Man meint ja immer, dass es die größte Freiheit sei, mit dem Motorrad gen Sonnenuntergang zu fahren. Das dachte ich früher auch. Wir stellten aber fest, dass das Wenige, was man besitzt, zur größten Freiheit führt: Zeit. Man muss sich nur noch um ganz einfache Dinge kümmern: Essen, Schlafen und natürlich, dass die Motorräder funktionieren. Dieser simple Tagesablauf bot uns ganz viel Freiheiten. Wir genossen es. Es war in dem Fall natürlich kein Urlaub. Man erholt sich da nicht, es war über weite Teile schon sehr anstrengend. Aber das war ja auch gerade das Tolle daran. Diese Einfachheit. Obwohl wir genügsam sind, sind wir nicht auf diese Reise gegangen, um zu sparen. Wir lieben das Campen und was wir machen wollten, haben wir auch gemacht: ein Hubschrauberflug, ein Bierchen. So Sachen mussten schon drin sein. Wir wollten ja nicht wegfahren, um jeden Cent umzudrehen. Wir hatten nur eine grobe Richtung im Kopf und wussten: Heute fahren wir die oder die Strecke. Aber wenn uns die Einheimischen Tipps gaben, dann haben wir unsere Route verworfen.
Was habt Ihr auf Eurer Reise am meisten vermisst?
H (wie aus der Pistole geschossen): Leberkäs-Semmel.
B: Ich habe phasenweise ein eigenes Bett, Kühlschrank und eine heiße Dusche vermisst. Und zu Weihnachten immer die Familie und Freunde. Es war die einzige Jahreszeit, wo ich mir gewünschte habe, zu Hause zu sein.
War es nicht anstrengend, ständig zusammen zu sein?
H: Wir waren ja 24 Stunden zusammen. Aber wenn wir fuhren, waren wir „getrennt“. Wir konnten zwar miteinander unterwegs sprechen, aber das haben wir nicht andauernd gemacht.
B (lacht): Oftmals hatten die Sprechanlagen ja natürlich „Funktionsstörungen“.
H: Wir sind jetzt seit fünf Jahren wieder zurück und wir fanden das gemeinsame Reisen sogar einfacher als den Alltag zuhause. Wir hatten uns immer etwas zu erzählen. Täglich erlebten wir so viel. Jeden Abend hieß es nur: Hast du das gesehen? Das Tier? Die Strecke? Uns wurde nie langweilig und das förderte das Team. Natürlich gab es auch harmlose Streitereien – diese klassischen Sachen „musst Du jetzt noch ein Bier trinken?!“, „fahr nicht so schnell“, „ich habe gleich gesagt, wir müssen da links ab“.
B: Und wenn es krachte, dann war es uns immer wichtig, dass man sich wieder zusammenraufte, ohne langes Schmollen. Schließlich waren wir nur zu zweit. Wir mussten uns aufeinander verlassen. Da darf man nicht nachtragend sein.
Wie reagierten Touristen auf Eure Art zu reisen?
B: Witziger- oder traurigerweise kam von den Deutschen immer diese Frage zuerst: „Wie könnt Ihr Euch das leisten?“ Das war schon irgendwie bezeichnend.
H: Sie gehen vom klassischen Bild aus: Arbeiten und dann einen großen Urlaub machen. So kosten die 14 Tage für zwei Personen vielleicht 3.000 €. Und die Leute rechnen das dann immer hoch: Dann sind es 6.000 € im Monat usw. Aber wir haben im Schnitt im Monat ca. 1.500 € zusammen gebraucht. Und ich hatte nie das Gefühl, dass wir auf etwas verzichtet haben. Irgendwann war meine Antwort auf die typisch deutsche, oft sehr patzige Frage „Wie kann man sich das leisten?“ nur noch: Drogen und Prostitution. Dann ist das Gespräch entweder ins Positive gekippt und man hatte sich super gut unterhalten oder aber sie sind kopfschüttelnd davon gegangen. Generell interessierten sich die meisten Touristen eher allgemein: Woher kommen wir? Warum wir das machen? Wie weit geht es noch?
Hat Euch die Reise verändert?
B: Auf jeden Fall. Und zwar auf eine Art, wie wir es nicht erwartet hätten. Beim Losfahren dachten wir, wir machen jetzt eine tolle Reise durch spannende Länder und kommen wieder zurück. Doch unser Blick auf die Welt hat sich stark geändert - oder wie wir die Länder jetzt sehen und wie wir die aktuellen Nachrichten jetzt bewerten. Aber vor allem hat sich die Ansicht auf unser eigenes Leben gewandelt. Wir haben ja schon davor nicht groß konsumiert, lebten eher bescheiden. Wir wissen um den Konsum und das Rädchen, indem wir hier oft feststecken: Arbeiten, um die Nachbarn zu beeindrucken oder zu überbieten. Wir wissen, dass wir mit ganz wenig sehr zufrieden sein können. Und das, was wir an Geld sparen, lieber in Zeit investieren.
H: Als wir losfuhren, war der Gedanke, ob wir dieses „Deutsche“ ablegen können: Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, alles muss immer zu 200% passen und vor allem das Vorsorgen. Natürlich ist es gut, für später vorzusorgen. Aber ich glaube, dass wir Deutsche nur noch vorsorgen.
B: Natürlich sorgen auch wir vor. Wir arbeiten als Selbständige mit unseren Reisemotorrad-bezogenen Themen. Wir planen aber nicht unser restliches Leben bis ins letzte Detail voraus. Das war auch die Erkenntnis durch die Reise: Vor allem das machen, was uns zufrieden macht, wo das Bauchgefühl stimmt. Mit den Dingen, für die wir brennen, wollen wir auch unseren Lebensunterhalt bestreiten. Auch wenn es arbeitsintensiver ist. Mit Sicherheit würden wir in unseren ursprünglichen Jobs mehr verdienen. Aber es ist eine andere Zufriedenheit. Es ist Lebensqualität.
H: Da gibt es einen Spruch, der viel Wahres beinhaltet: Wenn Du machst, was Dir Spaß macht, dann wirst Du nie in Rente gehen. Du hörst nie mit 65 auf. Das haben wir gelernt auf dieser Reise: Mach das, was Deine Leidenschaft ist. Natürlich ist das Leben nicht immer Leidenschaft, aber großflächig sollte es das sein. Ich meine: Ihr beschäftigt Euch hier im Museum alle mit Oldtimern, warum? Warum macht Ihr das so gut? Weil Ihr das hier alles liebt. Und das ist der Unterschied. Wenn Du einen Automechaniker hast, der Technik liebt, wird er immer besser sein, als der, der nur hingeht, weil er Geld verdienen muss.
Wenn Ihr die Tour jetzt nochmal machen könntet, was würdet Ihr anders machen?
B: Weniger planen und weniger Gepäck.
H: Vorab mehr Offroad-Kurse machen.
Was ist Euer nächstes Projekt?
H: Wir gehen derzeit ein Kreidler-Projekt an: Wir haben uns zwei Kreidler Florett gekauft, sie entsprechend restauriert und für Langzeitreisen vorbereitet. Mal sehen, welche Ecken der Welt wir mit den beiden Oldies zukünftig entdecken werden.
Den ausführlichen Reiseblog und alle nützlichen Infos rund um das Thema „Weltreise mit einem Motorrad“ gibt es auf Beas und Helles Seite „Time to Ride“.
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