Die Porsche-Ikone Norbert Singer besuchte kürzlich das Technik Museum Speyer. Wir sprachen mit dem ehemaligen Leiter der Rennsportwagenentwicklung bei Porsche über seine beeindruckende Karriere, seine Erfahrungen beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans und die Bedeutung von Teamwork im Motorsport.
Herr Singer, was hat Sie ursprünglich dazu inspiriert, Ingenieur zu werden, und wie sind Sie zu Porsche gekommen?
Ich wollte immer Ingenieur werden. Es hat mich fasziniert, wie Dinge funktionieren. Nach meinem Studium in München plante ich zunächst eine Karriere in der Raumfahrt, doch mein Betreuer riet mir, in die stabilere Automobilindustrie zu gehen. Die Raumfahrt war damals in Deutschland stark von staatlichen Subventionen abhängig. Er machte mich auf eine Stelle bei Porsche in der Rennabteilung aufmerksam, die mich sofort begeisterte. So begann meine 40-jährige Karriere bei Porsche - eine Entscheidung, die sich trotz anfänglicher Unsicherheit als goldrichtig erwies.
Hatten Sie von klein auf eine besondere Verbindung zu Autos, wie etwa durch Ihren Vater oder Geschwister?
Nein, überhaupt nicht. Diese Leidenschaft hat sich erst später entwickelt. Ich war fasziniert von technischen Fragen - wie ein Flugzeug fliegen oder ein Auto so schnell fahren kann. Meine Familie hatte keinen direkten Bezug zur Automobilwelt.
Welches war das erste Projekt bei Porsche, an dem sie beteiligt waren?
Ich begann Anfang der 1970er Jahre bei Porsche, genau zu der Zeit, als das Ziel war, Le Mans zu gewinnen. Mein erstes Projekt war der Porsche 917, und ich beschäftigte mich mit Themen wie Getriebeölkühlung und Aerodynamik - alles Neuland für mich. 1970 gewann Porsche zum ersten Mal Le Mans, und ich war stolz, einen kleinen Beitrag dazu geleistet zu haben. Das war eine unglaublich spannende Zeit. Als junger Ingenieur lernte ich jeden Tag dazu und erlebte, wie ein so legendäres Fahrzeug entsteht.
Wie war es, an einem so legendären Fahrzeug wie dem 917 zu arbeiten? Wie ging es Ihnen dabei?
Es war unglaublich aufregend, aber auch eine Herausforderung. Ich hatte vorher noch nie mit Rennwagen gearbeitet. Alles war neu - von der Technik bis zur Organisation in der Rennabteilung. Die Arbeitsweise bei Porsche war für mich damals ungewohnt, aber ich fand es faszinierend, wie schnell und effizient Entscheidungen getroffen wurden. Der Druck war groß, aber das hat mich motiviert, mein Bestes zu geben.
Sie haben viele Innovationen in den Rennsport eingebracht, darunter den Ground-Effect beim 956. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Das war Anfang der 80er Jahre. Porsche hatte sich entschlossen, in der neuen Gruppe C mitzumachen. Wir entwickelten einen Rennwagen mit Aluminium-Monocoque - für uns Neuland. Gleichzeitig experimentierten wir mit dem Ground-Effect, den wir zunächst aus der Formel 1 übernahmen. Schnell wurde klar, dass wir eigene Wege gehen mussten, denn unsere Fahrzeuge waren größer und breiter. Die Herausforderungen lagen in der Aerodynamik und in der Materialwahl. Wir mussten uns intensiv mit der Flugzeugindustrie austauschen, um geeignete Materialien und Verfahren zu finden. Nach zahlreichen Tests konnten wir die Abtriebswerte deutlich verbessern. Das war ein Meilenstein in meiner Karriere.
Gab es in Ihrer Karriere Momente, in denen Sie das Gefühl hatten, scheitern zu können?
Nein, solche Momente gab es eigentlich nicht. Wir haben immer Lösungen gesucht und gefunden. Bei Porsche war es damals üblich, dass sich die Kolleginnen und Kollegen gegenseitig halfen. Das familiäre Klima war ein großer Vorteil. Natürlich gab es auch schwierige Projekte, bei denen wir an unsere Grenzen gestoßen sind. Aber durch die enge Zusammenarbeit und die Bereitschaft, voneinander zu lernen, haben wir immer einen Weg gefunden.
Was macht Ihrer Meinung nach den perfekten Rennwagen aus?
Im Langstreckensport muss ein Auto vor allem schnell und zuverlässig sein. Im Gegensatz zur Formel 1, die nur rund eineinhalb Stunden dauert, geht es bei einem 24-Stunden-Rennen um Ausdauer. Es ist wichtig, einzelne Komponenten nicht bis an ihre technischen Grenzen zu belasten, sondern so auszulegen, dass sie die gesamte Distanz überstehen. Bei Porsche haben wir immer darauf geachtet, die Balance zwischen Leichtbau und Langlebigkeit zu finden. Das hat unsere Fahrzeuge so erfolgreich gemacht.
Welche Eigenschaften braucht ein gutes Team, um ein Langstreckenrennen erfolgreich zu meistern?
Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen ist entscheidend. Es gibt die Motorenabteilung, die Getriebeabteilung, die Fahrwerkabteilung und die Karosserieabteilung mit der Aerodynamik. Jeder muss für die Ideen des anderen offen sein und aktiv auf dessen Bedürfnisse eingehen. Bei Porsche war es wie in einer Familie: Man konnte sich aufeinander verlassen und jeder hat seinen Teil zum Erfolg beigetragen. Kommunikation war das A und O. Es ging nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, gemeinsam Lösungen zu finden.
Was ging damals in Ihnen vor, als Sie in Le Mans dabei waren? Können Sie sich noch erinnern?
Vor Le Mans hatte man bereits an anderen Rennen teilgenommen, da diese meist Teil der Marken-Weltmeisterschaft waren und Le Mans entweder direkt dazugehörte oder separat gefahren wurde. Diese Rennen dienten der Vorbereitung. Die meisten waren kürzer, zum Beispiel über 1.000 Kilometer oder sechs Stunden. Dabei wurden Schwachstellen am Auto erkannt, getestet und anschließend zerlegt, um Verbesserungen vorzunehmen. Nur so war es möglich, in Le Mans erfolgreich zu sein.
Le Mans selbst dauert 24 Stunden, für die Teilnehmer sind es eher 36 Stunden oder mehr. Der Start ist um 16 Uhr, aber die Arbeit beginnt früh morgens um 7 oder 8 Uhr. Damals mussten wir die Boxen komplett ausräumen, weil es noch keine festen Boxengebäude gab. Ersatzteile, verschiedene Reifensätze - auch Regenreifen - und verschiedene Mischungen mussten vorbereitet werden. Um 12 Uhr begann die offizielle Veranstaltung mit einer großen Show und um 16 Uhr startete das Rennen. Da war man oft schon erschöpft. Nach dem Rennen musste alles wieder aufgeräumt werden, was den Tag zusätzlich verlängerte. Es war ein intensives, aber auch unvergessliches Erlebnis.
Wie haben Sie sich gefühlt, als Ihr Auto und Motor an den Start gingen?
Es ist immer ein besonderes Gefühl, wenn das eigene Auto an den Start geht. Man ist stolz, aber auch sehr vorsichtig. Obwohl die neuen Teile ausgiebig getestet wurden, bleibt immer ein Restrisiko, dass ein Fehler auftritt. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem ein Zahnrad versagte und wir einen Getriebeschaden hatten. So etwas kann passieren, und man hofft jedes Mal, dass alles gut geht.
Und wie haben Sie sich gefühlt, als der Sieg eingefahren wurde?
Der Moment des Sieges ist unbeschreiblich. Auf der einen Seite ist man völlig erschöpft, auf der anderen Seite überglücklich. Ich erinnere mich, dass ich am Montagmorgen nach dem Rennen im Halbschlaf dachte: "Jetzt geht es noch 24 Stunden weiter". Dann wurde mir klar: Nein, wir haben schon gewonnen. Es war ein unglaubliches Gefühl.
Die Entwicklungen im Rennsport schreiten kontinuierlich voran. Wie stehen Sie zu diesen Veränderungen?
Grundsätzlich geht die Entwicklung in die richtige Richtung. Heute wird eine bestimmte Energiemenge vorgegeben und man kann oder muss teilweise mit Hybridantrieb fahren. Diese Entwicklung halte ich für richtig. Ein Thema, das aber immer wieder diskutiert wird, ist die so genannte „Balance of Performance“ (BOP). Dabei handelt es sich um Regelungen, die darauf abzielen, Fahrzeuge durch bestimmte Restriktionen zu bremsen oder andere Fahrzeuge zu unterstützen, um sie wettbewerbsfähiger zu machen. Diese Maßnahme gehört eigentlich eher in die unteren Rennklassen wie die GT-Klasse, da dort verschiedene Fahrzeugkonfigurationen wie Front-, Mittel- und Heckmotor zum Einsatz kommen. Aber in der Prototypenklasse, in der das BOP ebenfalls angewendet wird, sind alle Fahrzeuge gleich - es sind alles Mittelmotorfahrzeuge. Meiner Meinung nach ist die Einführung eines BOP hier nicht wirklich notwendig, aber es ist nun einmal so.
Was sind aus Ihrer Sicht die spannendsten Entwicklungen im Rennsport?
Eine der aufregendsten Entwicklungen war sicherlich das Betreten von Neuland im Jahr 1956, als der Monocoque- und der Ground-Effekt eingeführt wurden. Diese Innovationen waren bahnbrechend. Heute ist das Monocoque aus Kohlefaser zum Standard geworden und es gibt auf diesem Gebiet keine wirklichen Neuentdeckungen mehr. Vielmehr geht es heute darum, die gegebenen Rahmenbedingungen des Reglements zu nutzen, um aerodynamische Verbesserungen zu erzielen. Abgesehen davon finde ich die Entwicklungen im Langstreckensport sehr interessant. Es ist bemerkenswert, dass heute viel mehr Firmen und Werksteams im Langstreckensport aktiv sind als in der Formel 1.
Gibt es ein Rennen oder ein Erlebnis, das Ihnen bis heute in Erinnerung geblieben ist?
Ja, es gibt ein herausragendes Erlebnis, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist. Das war 1982, als wir mit dem 956 nach Le Mans gefahren sind, einem Auto, das wir mit dem Monocoque gebaut haben und damit völlig neue Wege gegangen sind. Wir haben dort einen Dreifachsieg erzielt, der meines Wissens bis heute der einzige Dreifachsieg von Porsche ist. Es war ein besonderes Erlebnis, mit einem neuen Auto an den Start zu gehen und zu hoffen, dass es hält. Im Laufe des Rennens wurde dann immer deutlicher, dass es tatsächlich möglich war, das Rennen zu gewinnen.
Wie war die Atmosphäre bei einem Rennen wie Le Mans in den 1970er- und 1980er-Jahren?
Einzigartig. Das Publikum, die Begeisterung - alles an dieser Veranstaltung ist beeindruckend. Es ist immer ein großes Wiedersehen mit Kollegen und Freunden aus der Branche. Diese besondere Atmosphäre macht Le Mans für mich bis heute zu einem Highlight. Damals war vieles noch improvisierter, was dem Ganzen einen besonderen Charme verlieh. Es war harte Arbeit, aber die Euphorie hat uns durch die langen Stunden getragen.
Warum begeistert Motorsport so viele Menschen?
Zum einen ist es die Spannung: Man weiß nie, wer gewinnt. Zum anderen ist es die Kombination aus menschlicher Leistung und technischer Perfektion. Das fasziniert viele Menschen. Motorsport verbindet Menschen über Generationen hinweg. Die technische Entwicklung und die Fahrerpersönlichkeiten schaffen eine einzigartige Faszination.
Welche Ratschläge würden Sie jungen Ingenieuren geben, die in den Motorsport einsteigen wollen?
Seien Sie lernfähig und offen. Gehen Sie unvoreingenommen an Dinge heran und interessieren Sie sich dafür, wie und warum Dinge funktionieren. Leidenschaft und Neugierde sind wichtig. Scheuen Sie sich nicht, Fragen zu stellen und von erfahrenen Kollegen zu lernen.
Wo sehen Sie den Motorsport in 10 bis 20 Jahren?
Ich denke, er wird weiterhin bestehen, allerdings mit einem stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit. Technologien wie Wasserstoff und alternative Kraftstoffe werden eine größere Rolle spielen. In Le Mans wird bereits an entsprechenden Konzepten gearbeitet. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich das Reglement und die Technologien entwickeln.
Welche Rolle spielt der Motorsport heute noch in Ihrem Leben?
Ich interessiere mich immer noch sehr für die Formel 1, aber auch für andere Rennserien. Besonders spannend finde ich die Entwicklung der Teams und Technologien. Ich verfolge die Rennen aktiv und freue mich, alte Kollegen wieder zu treffen.
Gibt es etwas, das Sie heute anders machen würden?
Eigentlich nicht. Wir haben immer versucht, die bestmöglichen Lösungen zu finden. Natürlich gibt es Dinge, die man im Nachhinein optimieren könnte, aber im Großen und Ganzen bin ich mit dem, was wir erreicht haben, zufrieden.
Welche andere Fortbewegung hat Sie neben dem Motorsport interessiert?
Flugzeuge und Raumfahrt haben mich schon immer fasziniert. Hier gibt es ähnliche technische Herausforderungen wie im Motorsport.
Wenn Sie für eine andere Rennserie hätten arbeiten können, welche wäre das gewesen?
Ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich mich für den Langstreckensport entschieden habe. Ich habe fast 50 24-Stunden-Rennen in Le Mans erlebt und das prägt einen. Ich würde es wieder genauso machen..
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